Aus den Erinnerungen des Marineingenieurs Hans Branscheid:
“Das Boot steht zu dieser Zeit etwa 100 sm querab von Irland. Weiter geht es jetzt mit Süd-Kurs. Wir hoffen, vor dem Eingang den Kanals und der Ansteuerung in den St.-Georg-Kanal lebhafteren Verkehr anzutreffen. Die See ist ruhig und wie der pirschende Jäger mit spähenden Augen sein Wild sucht, so richten auch wir die scharfen Gläser auf die Weite des Meeres um unser Wild zu suchen.
Wir betrachten uns mit dem Recht den Stärkeren als die Herren der See. Da kommt vom Turm die Meldung an den Kommandanten "Backbord voraus Rauchwolken"! Die Rauchwolke kommt schnell näher und als sich Masten und Schornsteine über die Kimm schieben, wird das Fahrzeug als ein auf dem Kurs nach England liegender feindlicher Fahrgastdampfer ausgemacht.
Bei weiterem Aufkommen ist das Fahrzeug durch weissen Anstrich und einem grünen Strich aussenbords an der Schiffswand und rotem Kreuz als Lazarettschiff kenntlich. Es hat ca. 15.000 t. Das Schiff wird durch einen Schuss vor den Bug gestoppt und der Kapitän mit Papieren zur Feststellung des “Woher” und “Wohin" aufs Boot befohlen. Obwohl der Dampfer im Sperrgebiet fährt, darf er infolge von Einschränkungen, denen Lazarettschiffe unterliegen, nicht versenkt werden; es sei denn, dass das Lazarettschiff unmittelbar, ausser seinem eigentlichen Zweck, auch zum Transport von Kriegsmaterial oder als Transporter Verwendung findet. Nach den Schiffspapieren musste dem Dampfer freie Fahrt gegeben werden. Während die Papiere geprüft werden, eine Durchsuchung des Schiffes durch Prisenkommando fand leider nicht statt, sind die Fahrgäste des Dampfers auf dem Bootsdeck versammelt. Sie glauben mit Mann und Maus zu den Fischen geschickt zu werden, denn ein Mann, es war der Erscheinung nach ein Priester, spendete Ihnen seinen letzten Segen. Die Rückkehr des Kapitäns und die Bekanntgabe zur freien Fahrt löst aber geradezu einen fanatischen Sturm der Begeisterung und Freude aus. Man drängt sich an die Reeling, winkt mit Tüchern und bedenkt uns mit „three sheers for german submarine".
Wir gehen unter Wasser. Unsere Stimmung ist schlecht. Erlebten wir doch soeben die von der Reichsregierung der Führung des U-Bootskrieges aufgezwungene Schwäche am praktischen Beispiel. War es denn überhaupt möglich, dass ein solches Schiff weiter im Dienste Englands fahren durfte, einem Lande, das Deutschlands Frauen und Kinder dem Hunger auslieferte. War man sich nicht darüber klar in der Auffassung, dass es bei diesem Existenzkampf nur darauf ankommen musste mit allen Mitteln eine Verknappung das feindlichen Schiffsraumes anzustreben, um so eine Gegenblockade wirksam zu machen: Einschränkungen in der Durchführung wie überhaupt die Beschneidung hierzu sich bietender grösster Möglichkeiten zur Niederringung Englands haben uns um entscheidende Erfolge gebracht und uns den Krieg verlieren lassen. Unserem Führer der Unterseeboote und der Flottenleitung sind keine Vorwürfe zu machen; der Widerstand in der Durchführung des uneingeschränkten U-Bootkrieges lag bei der Reichsregierung.
Wir konnten es unter Wasser nicht begreifen, dass dieses Schiff zum Nachteile Deutschlands weiter im Dienst unseres grimmigsten Feindes fahren durfte, und waren überzeugt, dass die Engländer unser Verhalten auch nicht begriffen haben.”
Anmerkung des Webmasters:
Ob es das geschilderte Unverständnis über die Unzulässigkeit der Versenkung des Hospitalschiffes damals tatsächlich gegeben hat, kann nicht sicher angenommen werden. Die “Weltkriegserlebnisse” wurden von dem im 2. Weltkrieg wieder aktiven Offizier Hans Branscheid 1942 unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Propaganda geschrieben und sollten zu diesem Zeitpunkt auch die Jugend für den Dienst zur See auf U-Booten gegen England begeistern.
Im KTB von U-54 wird nichts von einem Tauchgang beim Ablaufen nach der Kontrolle der Essequibo berichtet. Auch die von gegenseitigem Respekt und Höflichkeit zeugenden Flaggensignale werden in den Erinnerungen nicht erwähnt.
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